Steine zu Brot

Gedanken nach dem Hören: „Die schwarze Sonne“ 20

„Was ist das für ein Zeichen? Eine Sonne, die im Verborgenen leuchtet. Sie soll daran erinnern, dass vieles nicht sofort und offenkundig sichtbar ist, sich manche Größe in der Tiefe verbirgt“.

Sonne 20

Zum ersten Mal bekommen wir in dieser Folge deutlich (von noch dazu von Adam selbst) vor Augen geführt, wofür das Symbol der schwarzen Sonne eigentlich steht. Und zutreffender könnte das nicht sein: Mit Folge 20 „Gefangener No.07“ tauchen wir erneut in die Untiefen der schwarzromantischen Geschichte ab, die sich uns nur scheinbar widerwillig, nur langsam und in kleinen Puzzlesteinen ers

chließt. Darin liegt der Reiz dieser fantastischen Hörspielserie. Sprecher, Klangteppich und musikalische Untermalung sind wieder einmal hervorragend.

Ich habe das Hören der neuen Folge sehr genossen: Sie lädt dazu ein, in ihre fragmentartigen Sequenzen und traumartigen Facetten einzutauchen und in der Tiefe zu rätseln, welche Zusammenhänge dort verborgen liegen.

Da es sich um den dritten Teil eines Sechsteilers handelt und wir einfach mittendrin sind, rate ich dringend dazu, die beiden Vorfolgen nochmal vorher zu hören, sonst hängt alles einfach zu arg in der Luft. Die vorigen Veröffentlichungen liegen bereits eine längere Zeit zurück, der ganze Aufbau der Stimmungen und Situationen geht ohne dieses Anschlusshören verloren. Am Ende wird man diesen Sechsteiler als Einheit wahrnehmen müssen, um ihm gerecht zu werden (wie auch zuvor den Vierteiler in Chicago). So erleben wir Mittelstücke von Jules Vernes Reise mit Nathaniel auf der Gefangeneninsel auf dem Weg nach Südamerika, hören der hypnotischen Auseinandersetzung zwischen Adam und dem merkwürdigen Bartholomäus in der Wüste weiter zu und erfahren, welches Ziel Adam auf seiner Expedition in Ägypten anstrebt.

Das Hinabsinken in die einzelnen Momente dieser Folge ist es, was ihre Stärke ausmacht, und weniger als durch ein Fortschreiten der Handlung entsteht die Faszination durch die Stimmungen und durch die Fragen, die sich dem Hörer stellen. Und Fragen habe ich nach dem Hören reichlich – aber die hebe ich mir für den Podcast auf. Zugegeben – die Handlung macht erneut keine großen Sprünge nach vorn, stattdessen blicken wir zurück und docken (zu meiner Freude) an interessante Themen aus den Folgen 8, 9 und 10 an, die hoffentlich in den kommenden Folgen in das Geschehen hineinspielen. Gedanklich wird an die Ereignisse um Rudoph Heß angeknüpft (Folge 9), Ideen um den Mythos um die Geburt von Herakles und seinem Bruder werden wieder heraufbeschworen (Folge 8) und das Pendulum-Experiment sowie Nathaniels Verschleppung liegen der Ägypten-Handlung zugrunde (Folge 10).  Ein paar sehr interessante Puzzlesteine sind diesmal dabei, die manche alte Theorie bestätigen.

Es ist mal wieder ein reichhaltiger Rätselhappen, der hier serviert wird, reich an Anspielungen, aber auch voller Verwirrung: Während sich die Fortsetzungen der Handlungsstränge in der Vergangenheit (junger Adam in Australien / älterer Adam in Ägypten / Vernes Reise mit Nathaniel) harmonisch in die Sonne-Zeitlinie einreihen, verwirrt und verzerrt das Geschehen um den Therapeuten Salacar und seinen schizophrenen Patienten Adam das Gesamtbild für mich. Ich bin gespannt, wo diese irritierende Spiegelung von Charakteren hinführt. Was ist real in dieser Geschichte? Aus der Perspektive des Therapeuten Salacar wirkt alles andere in der Sonne fast „nur“ wie ein Traum oder wie die krude Einbildung des Patienten Adam – was ja (hoffentlich!) nicht sein kann.

Die einzelnen Sequenzen des Hörspiels wirken auf mich fast hypnotisch – man fühlt sich wie in einem Traum, dessen Zusammenhänge sich vielleicht noch nicht (oder nie?)  erschließen. In die Realitäten der Figuren mischt sich das Irreale, das Unmögliche, wir erleben Varianten und Spiegelungen von Bekanntem. Was zum Teufel passiert da, und wie hängen all diese Schnipsel zusammen? Ich will mehr erfahren und bin sehr gespannt, auf welche Ereignisse (und Enthüllungen?) Günter Merlau seine Erzählung zubewegt. Ein wenig fühle ich mich beim Zuhören also wie ein Träumer, also ein bisschen wie Adam in der australischen Wüste. Was ich da höre wirkt wie ein Traum in einem Traum, der einer Traumlogik folgt, die im Wachzustand aber gar nicht zu entschlüsseln ist. Der Versuch, das alles zu verstehen und in logischen Zusammenhang zu bringen ist ein bisschen wie Adams Aufgabe in der Wüste, einen Stein in Brot zu verwandeln. Ob das geht? Ob wir es bei unserer Analyse im Podcast einmal mit Traumdeutung versuchen sollten?

Aber vielleicht muss man das ja gar nicht alles verstehen– vielleicht kann man das Zuhören einfach auch nur genießen, so wie hier geschehen. 

Was meint ihr dazu – habt ihr die Folge schon gehört? Ich bin gespannt, was ihr sagt!

(Torsten Weis, 28.2.20)

5 Kommentare

  1. Sehr geile Folge… Bei vielen der Vorgängerfolgen hatte ich nach dem ersten Hören immer das Gefühl, dass ich gern noch etwas mehr oder etwas anderes erfahren hätte. Ich habe dann immer ein zweites und drittes Hören gebraucht, um mit der jeweiligen Folge voll zufrieden zu sein. Das will ich nicht falsch verstanden wissen… Auch die vorherigen Folgen fand ich ausnahmslos gut und auf allerhöchstem Sonne-Niveau. Ich hatte nur immer etwas Arbeit meine (falsche) Erwartungshaltung mit der Folge in Einklang zu bringen.

    Bei der 20 ist das anders. Die ist von Anfang an unglaublich rund. Das liegt daran, dass Merlau diesmal einen Rahmen setzt und diesen einhält. Frühere Folgen hatten beispielsweise Titel, die offenbar in keinerlei Bezug zum Folgeninhalt standen.

    Dies ist diesmal anders. Die Folge heisst „Gefangener No. 7“ und der Gefangene No. 7 (Rudolf Heß) ist Kernfigur von gleich drei Tracks dieser Folge, als Kind in Alexandria (1904), als Kriegsgefangener (wohl in den 50er Jahren) und als Leichnam bei einer Obduktion 1987. Ich finde das macht diese Folge deutlich zugänglicher.

    Insofern muss ich Dir, Torsten, auch etwas widersprechen. Sicher ist der Hörgenuss noch größer wenn man direkt vorher die 18 und 19 hört. Ich finde aber, dass man die 20 wunderbar isoliert hören kann und nicht permanent denkt: „Wo sind die denn jetzt wieder?“.

    Genial finde ich, dass die Sonne mal wieder eine ihrer großen Stärken, nämlich das Verweben von Fiktion mit historischen Fakten auf perfekte Art und Weise zeigt.

    (ACHTUNG SPOILER in diesem Absatz): Dass Heß als einer der ersten „Jenseits-Touristen“ eine wichtige Sonne-Figur ist, ist seit Jahren bekannt. Dass Heß Ende des 19. Jhdt. in Alexandria geboren wurde und seine Kindheit dort verbrachte ist ein historischer Fakt. Und dass Adam 1904 nach Ägypten reist war ebenfalls bekannt. Alle Zutaten lagen vor allen Augen auf dem Präsentierteller und trotzdem ist die Begegnung zwischen Adam und dem jungen Rudolf Heß ein Überraschungsmoment. Das überreichen einer Svastika als Talisman ist vor dem Hintergrund für was Heß und dieses Symbol im 20. Jhdt. stehen sicherlich der Gänsehautmoment der Folge. Und auch hier wieder eines der Hauptthemen der Sonne in einem Moment vereint: Gut und Böse – zwei Seiten einer Medaille… Und wie so oft, haben wir einen verstörten Jungen mit schwierigem Verhältnis zum Vater und den Kontakt eines „Ewigen“ mit diesem Kind. Bin sehr gespannt, ob es das mit Adam und Rudolf war oder es weitere Begegnungen der beiden in Rudolfs Kindheit geben wird… (SPOILER ENDE)

    Die Folge hört sich unglaublich leicht, was aber auch etwas trügerisch ist. Einige Tracks (Die Kriegsgefangenen in Spandau, Nathaniel und Verne in Südamerika) sind wahrscheinlich tatsächlich „nur“ atmosphärisch gute Tracks, die ein wenig Geschichte erzählen und für das „Geheimnis der Sonne“ ohne Bedeutung sind.

    Andere Tracks wie „Adam und Bartholomäus in der Wüste“ oder auch die ganzen neuen Informationen um Salaker, Helmut, Elizabeth und Edgar aus dem 21. Jhdt. lassen mir den Kopf brummen. Da muss ich mich erstmal ein paar Tage in den Keller an meine 6×2 Meter große Pinnwand zurückziehen, an der ich bereits 2.816 Stecknadeln und 1,3 km Bindfaden verarbeitet habe und darüber grübeln, wie das alles in das große Sonne-Puzzle passen soll.

    Ich freue mich sehr auf Euren Folgen-Podcast und halte mich mit Theorien zum großen Ganzen auch mal bis dahin zurück.

    Finde es auch genial, dass Ihr auch einen Ausflug zu „Head Money“ machen werdet. Hat die Serie auf jeden Fall verdient… Ebenfalls großes Kino für die Ohren…

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  2. Dass sich das einleitende Zitat eher an uns als an Rudolf richtet, erscheint mir offenkundig. Es ist vielleicht allein die Ungeduld, die mich mit den neuen Folgen hadern lässt. Jules Reisebericht lässt mich bisher kalt, aber am Ende der Erzählung wird sicher alles ganz anders aussehen und wir werden es am Stück vollkommen neu und mit Feuer hören.

    Auch in Folge 20 schafft es die Sonne wieder alles (oder doch nichts?) auf den Kopf zu stellen. Sie schlägt Brücken in die Vergangenheit und in die Zukunft. Auch wenn es noch Jahre dauern wird, bis wir mit Miguel Serrano nach Neuschwabenland reisen, freue ich mich da jetzt schon sehr drauf (aber ich freue mich auch schon seit Jahren auf Johann).

    Da diese Folge relativ gradlinig abläuft und Intro und Outro die Mitte gut rahmen, kann dort dann richtig gezaubert werden: Wie kann dieser Sohn Gottes bloß den Erstgeborenen überzeugen ein ebenbürtiger Bruder zu sein? Was weiß Ross Edgar über Hasenschnuten? Warum will Jenny „Hilli“ fragen, wo die Bücher stehen?

    So freue ich mich schon im Podcast über antike Schlangen, verbannte Götter, das Schweizer Leben in den 90ern und Dissoziationen zu hören. Vlt. etwas Puccini, beizeiten…

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