Spoilerfreier Ersteindruck zu Folge 12: „Die gekrümmte Zeit“

Ein blutiges Wechsel(quantenschaum)bad der Gefühle:

Wer hat mein schönes Puzzle durcheinandergeworfen? War das Günter Merlau?

Ganz ehrlich: In meinem Hirn ist seit dem Genuss der Folge 12 Saltonquantenschaum. Es kann nicht anders sein. Nach dem ersten Hören musste ich alles erstmal sacken lassen, zu sehr wird manches auf den Kopf gestellt. Die Folge tut dem Zuhörer weh, aber sie tut auch gut. Philosophische Passagen wechseln sich mit Grausamkeiten und Erkenntnissen ab.

Kurz: Plot Twist. Schwer verdaulich. Philosophisch. Grandios!

Mein erstes Gefühl nach dem Hören lässt sich vielleicht mit folgendem Vergleich beschreiben: Es kam mir so vor, als hätte ich wochenlang an einem Puzzle gebaut und große Blöcke davon zusammengesetzt, so dass nur noch ein paar zentrale Lücken verbunden werden müssten. Und jetzt habe ich ein paar neue Puzzlesteine bekommen und merke, dass sich das entstandene Bild drastisch verändert, und zwar so, dass ich alte Puzzleteile neu anordnen muss

Es fügt sich, aber es fügt sich neu und anders: Unerwartet – aber nach etwas Inkubationszeit auch passend und gut, man beginnt damit, manche Szenen und Handlungen neu einzuordnen.  Fordernd und kompliziert – aber genau das ist es ja, was die schwarze Sonne ausmacht.

Die DNA der Folge 12 ist genau so, wie die Fans der Reihe es lieben: Großartige Sprecher und Musik, wunderbare Texte, mitreißende Dramaturgie, einfühlsame und gewaltige Szenen sowie das andauernde Gefühl, an einem kleinen Zipfel von einem großen Mysterium zu ziehen.

Eine Struktur aus Andeutungen, Hinweisen und Verknüpfungen kombiniert sich mit den schicksalhaften Ereignissen der Saltons zu etwas, über das man lange nachdenken muss. Dann aber bekommt man eine Ahnung davon, was hinter den Geheimnissen steckt, die Nathaniel durch die Serie hinweg verbirgt und Adam nicht offenbaren kann. Vieles wird dadurch in ein anderes Licht gerückt, vieles wird dadurch plausibel, anderes hängt aber scheinbar schief. Ehrlich gesagt musste ich erst einmal darüber brüten, ob nach der Folge 12 alles noch so ganz zusammenpasst, von liebgewonnenen Theorien musste ich mich verabschieden – was aber völlig in Ordnung ist. Und der Prozess dauert an, der Plausibilitätscheck läuft – ich bin mir immer noch nicht ganz sicher. Dafür entstehen viele neue Erklärungen und Verknüpfungen – aber die muss ich jetzt noch zurückhalten und mir für den Podcast aufsparen, auf den ich mich jetzt sehr freue!

Es ist ein blutiges Wechsel(quantenschaum)bad der Gefühle: Die Folge enthält eine der schönsten Philosophiepassagen der Serie, aber auch die mit Abstand grausamste Szene (die mir Weichei etwas zu weit ging).

Während Folge 11 die Wiederaufnahme und Aufbauphase war, bildet die Folge 12 die Brücke zum Finale und schont seine Hörer dabei nicht vor unangenehmen Erkenntnissen.

Wieder mal Wahnsinn, was für Gedankengänge, Emotionen, Grübeleien und Diskussionen ein Hörspiel auslöst – alleine das verdient schon den goldenen Vrilpokal. So muss es sein! Wer es noch nicht getan hat: Dringend LAUSCHen und dann hier losdiskutieren! Es gibt viel zu spekulieren!

2 Kommentare

  1. Ich habe die Folge gerade gehört und schreibe somit „direkt von der Leber“ meinen Eindruck – oder wohl eher „direkt vom Magen“, der sich an einigen Stellen umdrehte.

    Insgesamt sehr gute Folge. Tatsächlich eine meiner neuen Lieblingsfolgen. Warum? Wunderbare Collagen in einigen Szenen. Gut gesetzte Rückblicke und Verknüpfungen, die viel weniger ‚aufdringlich‘ wirkten als noch in Folge 11 und subtiler eingesetzt waren. Hier hatte ich das Gefühl, dadurch neue Erkenntnisse und Perspektiven zu gewinnen.
    Im Zusammenhang mit neuen Erkenntnissen fand ich auch, dass in dieser Folge genau der richtige Ton getroffen wurde zwischen Auflösen und Im-Unscharfen-Lassen von Fragen und Rätseln. Ich hatte nie das lostige Gefühl „Jetzt kommt auch das noch dazu – wie zur Hölle soll das jemals zusammen kommen?!“, aber auch nicht ein darkside-parkiges „Oh, okay. Coole Auflösung – aber Angst habe ich keine mehr…“. Hier wurde eine perfekte Balance gefunden!
    Die von Torsten vielerwähnten neuen und „unangenehmen Erkenntnisse“ fügen sich bei mir allerdings ziemlich gut ins Gesamtbild ein. Für mich waren das Puzzleteile, die passten, von denen ich aber nicht dachte, dass sie mir noch fehlen. Doch jetzt habe ich das Gefühl: Ohne diese Teile ist das Bild nicht stimmig. Eigentlich ideal für eine „Auflösung“.
    Etwas zu kurz kam dagegen das titelgebende Thema, dem (noch) mehr Raum – und Zeit – hätte gegeben werden können – da bin ich sehr gespannt auf Weiteres! Vor allem auch im Hinblick auf die Interviews mit Merlau!

    Insgesamt für mich also ein Favorit aus der Serie, der alle vorigen Folgen zu vereinen scheint und in seiner wunderbaren Komposition mehr Harmonie schafft als Chaos stiftet. Natürlich nur auf die Form bezogen. Inhaltlich ging es weniger harmonisch zu und auch ich hielt eine Stelle für sehr (zu?) grausam und brutal. FSK 18.

    Wir hören uns bei Zeiten,
    Samuel

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  2. @Torsten: Du beschreibst meine Eindrücke bereits sehr gut. Kann sein, dass es daher jetzt zu einigen Wiederholungen kommt.

    Ich hatte die Folge an einem Tag, in zwei Etappen (zwei Autofahrten) gehört. Die erste Etappe umfasste ca. 2/3 des Hörspiels. Ich stieg aus und war total begeistert. Die bekannten Stimmen, tolle Atmosphäre, viel Philosophisches, einige interessante Auflösungen, einige neue Fragezeichen. Die Schwarze Sonne, wie ich sie seit Jahren liebe.

    Dann kam die zweite Autofahrt und ich hörte die Folge zu Ende. Mitten in einer Szene rief ich auf einmal aus „Ach, Du Scheiße!?“. Das ist mir beim Hörspiel hören noch nie passiert, aber die Worte mussten einfach raus. Nach der Fahrt stieg ich aus und war am Boden zerstört. Mein „Weltbild“ war auf den Kopf gestellt.

    Danach kam einige Arbeit auf mich als Hörer zu und ich musste mich fragen, was denn passiert war… Warum war ich nach dem ersten Hören der Folge irgendwie unzufrieden? Ich kann nicht sagen, dass irgendetwas von dem was im letzten Drittel der Folge passiert unlogisch ist (im Gegenteil). Ich kann nicht sagen, dass der letzte Abschnitt handwerklich nicht gut gemacht ist (erneut: im Gegenteil). Ich kann nicht sagen, dass der Schluss der 12 nicht „typisch Sonne“ ist (erneut: im Gegenteil). Und dann musste ich mir etwas eingestehen was ganz schön unbequem war: Das Problem war nicht das Hörspiel. Das Problem war ich!

    Wie Torsten bereits geschrieben hat, bedeutet „die 12 hören“ für einige der treuen Hörer, sich von bestimmten (in meinem Fall auch liebgewonnenen) Theorien zu verabschieden. Das ist alles andere als einfach, zumal die meisten dieser Theorien lange gereift sind und im jahrelangen Warten auf eine Fortsetzung der Serie immer wieder verfeinert wurden. Meine erste „Wut“ nach dem Ersthören der Folge war also, dass ich sauer war, dass ich bei einigem auf dem falschen Weg war und ich schwer akzeptieren konnte, dass etwas anderes passt. Dann fiel mir auf, wie vermessen und ungerecht es eigentlich ist, dass ich dem Künstler, der die Welt, in der ich seit Jahren kreuz und quer denke, im Grunde vorwerfe, dass er in eine andere Richtung abbiegt, als ich es mir erhofft / gewünscht / zusammengereimt habe.

    Um bei dem Bild mit dem Kunstwerk zu bleiben (was bei der „Schwarzen Sonne“ ja ohnehin gerechtfertigt ist): Es ist nicht so, als ob Merlau die Mona Lisa gemalt hätte, um nach dem letzten Pinselstrich mit Edding darüber zu malen! Es ist eher so, als ob einem die Mona Lisa anlächelt und man bei näherer Betrachtung merkt, dass unter dem geheimnisvollsten Lächeln der Welt ein fauler Zahn versteckt ist. Das ist zunächst etwas eklig, nach dem ersten Schock merkt man aber, dass das alles vielleicht nur noch interessanter macht…

    Ich habe die Folge daher nochmal gehört nachdem sich der erste Eindruck gesetzt hatte und kann jetzt auch mit dem letzten Drittel sehr gut leben. Zwar sind einige Gedankengebäude einzureissen, dafür kann man nun aber in andere Richtungen denken. Vieles ergibt auf einmal mehr Sinn, anderes bleibt ungelöst und neue Fragen tun sich auf.

    Der Wiederhörwert der Serie wurde nochmals gesteigert. Ich bin sicher, dass ich mit dem Wissen aus der neuen Folge viele Passagen der bisherigen Serie nochmals anders erleben werde.

    Die Sonne bleibt somit so anregend und herausfordernd wie sie es schon immer war.

    Besonders gut gefällt mir, dass einerseits klar erkennbar wird, was Merlau mit der 13 abschließen möchte, er andererseits durch zahlreiche Rückblenden und Anspielungen aber auch auf andere lose Fäden hinweist, um dem Hörer zu zeigen „Die habe ich nicht vergessen. Das sind keine Sackgassen. Dazu kommt etwas in Staffel 2.“.

    Ich glaube auch, dass es sehr gut gelingt „Neuhörer“ weiter zu fesseln. Wer erst bei der 11 eingestiegen ist, der bekommt (nicht zuletzt durch die erwähnten Rückblenden) in der 12 einiges sortiert. Natürlich wird man nicht jede Anspielung verstehen, aber sind wir ehrlich… Mit dem Problem, nicht alles zu verstehen, haben auch Sonne-Nerds seit Folge 1 zu kämpfen.

    Fazit: Folge 12 ist ein Meisterwerk, das ein Meisterwerk würdig fortsetzt und unglaublich viel Lust auf die Fortsetzung des Meisterwerks macht.

    Für meinen Geschmack reicht der eine faulige Zahn aber vollkommen aus. Ich hoffe, dass Mona Lisa am Ende nicht auch noch Pickel, eine gebrochene Nase und ausgestochene Augen hat 😉

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